An manchen Tagen schweben wir scheinbar ohne Willen über der Wirklichkeit, taumeln hoch und runter, berühren dies, berühren das, doch nichts muss sich bewegen. Nur leicht, gewichtslos soll es sein und schlicht bedingungslos, denn die Forderungen des Dinges, das wir Leben nennen, machen nur kurzen Urlaub und sind spätestens morgen zurück.
Und dann, in ein paar Stunden, wird nichts mehr daran erinnern, wie es gestern war, nichts wird ohne Bedingung sein und federleicht. Wir spüren nicht die Schritte, die wir tun, nicht Ein-, noch Ausatmen erfüllen uns mit Staunen; der Alltag ist von fremden Mächten bestimmt und wiegt eine Tonne Verantwortung.
Von einem Tag der Leichtigkeit will ich nun berichten.
Vor ein paar Wochen, es war ein viel zu heißer Junitag, machte ich mich auf den Weg zum Kashima Berlin in der Kantstraße. Ich beschloss, das Fahrrad stehen zu lassen und einen guten, altmodischen Spaziergang vom Wittenbergplatz über Kudamm, Schlüterstraße und vielleicht noch den Savignyplatz mit Kaffeetrinken zu unternehmen, denn mein Termin war erst um 12 Uhr mittags.
Schon auf der Treppe runter fiel mir etwas Unbestimmtes auf. Ich stapfte und trampelte nicht nach unten wie sonst, sondern hüpfte und sprang wie aus dem Jungbrunnen entfleucht. Nanu, dachte ich und gute Laune setzte augenblicklich ein. Erst auf der Straße enthüllte sich des Rätsels Lösung: Ich hatte vergessen, Schuhe anzuziehen.
Nach der ersten Verwirrung beschloss ich, nicht zurück nach oben zu gehen, und machte mich munter auf den Weg. Immerhin etwas völlig Neues für mich, barfuß in der Stadt! Auf dem Lande, der Wiese, im Park und am Strand, na klar…aber auf Charlottenburger Bürgersteigen und Straßen!?
Ich begann darüber zu sinnieren und verschiedene Ideen stiegen mir zu Kopf. Wohl nicht zuletzt, weil allerlei Leute mich neugierig begutachteten, kam ich zunächst zu folgender Frage: Ist es womöglich so, dass ich mir nur Schuhe an die Füße ziehe, weil ich glaube, meine Umwelt erwartet genau das von mir? Und: Wer außer mir hat denn ein Sorgerecht, eine gewisse Macht, für und über meine Füße?
Nun, ich fand sehr bald heraus, dass es nicht nur durchaus machbar ist, barfuß in der Stadt zu gehen, es ist sogar ein wunderbares Erlebnis. Sobald ich die Beklommenheit des Angestarrtwerdens abgeschüttelt hatte, bewegte ich mich so leicht und beschwingt wie in einem Garten oder auf dem Trampolin.
Ja, natürlich, es stimmt: Die Haut unserer Städte ist dreckig. Speichel, Urin, organischer Abfall, den man nicht übersieht…Ruckzuck sind die blanken Fußsohlen schwarz…na und? Dafür gibt es Wasser und Seife!
Reißzwecken, Metallstücke, Glasscherben…Ach, dachte ich, wozu bin ich mit zwei so bemerkenswerten Beschützern ausgestattet, nämlich meinen Augen?
Fröhlich über den Kudamm tänzelnd fiel mir ein Zitat ein, das zu passen schien: „Vergiss nicht“, sagt Khalil Gibran im Propheten, „dass die Erde erfreut ist, deine bloßen Füße und die Winde zu fühlen, die nur da sind, um mit deinen Haaren zu spielen.“
Als noch angenehmer als meine anscheinend grundlos gute Laune empfand ich das schlichte, leichtfüßige Vergnügen, barfuß zu sein. Ich fühlte mich cool, frei, entspannt und flink auf den Beinen. Es war denn auch keine Überraschung, dass ich den Weg zum Kashima in Rekordzeit bewältigte; inzwischen war ich auf alles vorbereitet.
Die wunderbare Begrüßung, das wunderbare Tantra-Massage-Ritual, die kleine Reise zu mir selbst, die ja eigentlich schon vorher begonnen hatte, barfuß durch Berlin-Charlottenburg! Zugegeben: Das Füßewaschen dauerte etwas länger als sonst!
Auf dem Heimweg, drei Stunden später, machte ich dann doch noch eine Entdeckung: Jetzt, nach der Massage, hatte sich das Empfinden, das von den sinnbepackten Fußsohlen ausging, noch potenziert. Was mir vorher nicht aufgefallen war, die erstaunlichen Variationen von Texturen unter den Füßen, das sichere Empfinden, mit der Umwelt in direktem Kontakt zu sein, eine Art Intimität mit der Welt um dich herum. Unglaublich, dachte ich, und begann wieder zu schweben, nur so aus Freude.
„Wenn du Schuhe trägst, fühlt sich die ganze Erde an wie Leder“, soll Mahatma Gandhi mal gesagt haben.
Vielleicht ist das so. Ich weiß nur Eines: Wenn Du barfuß gehst, fühlst Du Dich selbst wie ein Stück Erde. Und obendrein wie Luft und Licht!